"Gefährlich nah an der Idylle"

BZ: Herr Steinauer, Sie spielen die Hang selbst nicht. Wie komponiert man dann für ein solches Instrument, für das es nicht einmal eine eigene Notierung gibt?

Mathias Steinauer: Das ging nur durch eine ganz enge Zusammenarbeit mit Tilo. Dazu muss man sagen, dass eine Hang derzeit kaum zu bekommen ist, das Instrument ist sehr teuer und der einzige Produzent, der in Bern sitzt, hat eine Warteliste von bis zu vier Jahren. Tilo und ich haben bei der Vorarbeit zusammen x Sachen probiert. Was mir an der Aufgabe gefallen hat, ist mit anderen Musikern – auch die Sinfonietta macht das ja zum ersten Mal – Neuland zu betreten. Was die Notierung angeht, die ja bislang für Hang nicht existierte, arbeite ich mit bis zu vier Notensystemen in zwei verschiedenen Schlüsseln.

BZ: Und Sie, Herr Wachter, als Solist, betreten ebenfalls Neuland?

Tilo Wachter: Ich werde bei dem Konzert auf drei Hang spielen, die in der Stimmung verschieden sind, weil eine allein nur einen begrenzten Tonvorrat hat und mit drei Instrumenten eine differenziertere Harmonik möglich ist. BZ: Und das verlangt die „Idylle“?

Steinauer: Als ich das Instrument zum ersten Mal gehört habe, stellte sich mir die Grundfrage, wie man die Idylle, die es für mich evoziert, ironisch brechen kann. Der Klang der Hang ist gefährlich nahe an der Idylle, und das ist nicht wirklich das, was mich interessiert. Schönheit allein reicht mir nicht. Ich wollte sehen, wie man diese Art von Musik in eine interessante Schieflage bringen kann.

BZ: Wie soll das gehen?

Steinauer: Man kann auf verschiedenen Ebenen wie Tonalität, Klangfarbe, Harmonik, Unsicherheiten entwickeln. Und die pure Idylle hat ja auch komische Momente. Diese pointiere ich mit kleinen Zusatzinstrumenten, die das Orchester benutzt wie Pfannendeckel oder Plastikflöten. Die Geiger benutzen auch so genannte Bottlenecks, die eigentlich für Gitarre verwendet werden. Damit kann man fast kitschige Glissandi erzeugen.

BZ: Herr Wachter, was Sie bisher auf der Hang gemacht haben, kommt der Idylle doch sehr nahe, beispielsweise auf Ihrer CD „Nachts im Gras“. Wie sind Sie jetzt mit dieser Partitur zurechtgekommen?

Wachter: Nach der Lektüre hatte ich zunächst mal drei Tage eine Krise (lacht). Ich entwickle meine Musik sonst eher nach der Motorik, das liegt bei der Hang nahe, die Bewegungen haben ihre innere Logik und die Musik auch. Jetzt spiele ich nach Noten, aber wir haben das ja gemeinsam entwickelt. Und dann habe ich seit Ende Juli täglich drei Stunden geübt.

Steinauer: Nach der ersten Episode, in der das Streichorchester die Hang mit einer kurzen Zeitreise durch 1000 Jahre Musikgeschichte in den ehrwürdigen Hallen der Konzertmusik begrüßt, spielt Tilo eine Kadenz, die durch Pulse ein tranceartiges Hören schafft – wie er sagt, die größte Stärke der Hang. Danach gehen Solist und Orchester gemeinsam weiter.

BZ: Das Publikum in Müllheim bekommt ein Stück zu hören, das noch nirgends gespielt wurde. Was hat „Quasi idilliaco“ für Chancen auf weitere Verbreitung? Steinauer: Am 21. April wird es im Basler Stadtcasino aufgeführt, dabei wird auch ein Radio-Mitschnitt gemacht. Die Streicherbesetzung ist für ein professionelles Orchester absolut normal, viele Orchester könnten diese Partitur realisieren. Aber die Hang – das müsste immer Tilo sein.

 

Zur Person Mathias Steinauer

Der 53-jährige Basler erlangte 1982 das Lehrdiplom Klavier. Es folgte ein Studium in Komposition und Theorie bei Robert Suter und Roland Moser an der Musik-Akademie Basel, später weiterführende Kompositionsstudien bei György Kurtàg in Budapest. Steinauer ist Lehrer für Musiktheorie, Kammermusik, Neue Musik und Komposition an der Zürcher Hochschule der Künste. Seine Werke werden bei Konzerten und Festivals in vielen Ländern Europas, in Russland, China und den USA aufgeführt. 2011 wurde seine Oper „Keyner nit“ in Luzern und Zürich aufgeführt. Mathias Steinauer lebt in Corticiasca im Tessin.